Narzissmus

Narzissmus ist eine Charaktereigenschaft, die sich durch ein geringes Selbstwertgefühl bei gleichzeitig übertriebener Einschätzung der eigenen Wichtigkeit und dem grossen Wunsch nach Bewunderung auszeichnet. Zu dem namensgebenden Mythos siehe unter Narziss.

Auf der mythologischen Ebene ist Narziss ein Knabe, der sich in sein Spiegelbild in einem Teich verliebt. Da er das Spiegelbild nicht fassen kann, sich aber auch nicht von ihm lösen kann, vergeht er und stirbt.

Im Alltagsverständnis ist ein Narzisst ein Mensch, der sich sehr auf sich selbst bezieht und dabei andere (Menschen, Natur usw.) vernachlässigt. Narzissmus ist übertriebene Selbstliebe, bedingt also Egoismus und Egozentrik.

Manche Menschen haben in ihrer frühkindlichen Entwicklung weniger Liebe von Bezugspersonen als andere erhalten, sie leiden oft lebenslang darunter und geben ihre Reaktionen auf ihre Entbehrungen an andere weiter. Dies muss aber nicht zwangsläufig zu einer narzisstischen Erkrankung führen. Sie reagieren mit Verhaltensweisen, die von der Psychologie als narzisstische Charakterstörungen eingeordnet werden. Diese psychologische Deutung versteht den Narzissmus als ein Leiden, weil die Betroffenen Schwierigkeiten haben, Objektbeziehungen zu führen. Sie versuchen ihr Gegenüber zu kontrollieren und suchen nach ständiger Bestätigung ihrer Grandiosität, da sie sich ohne diese leer fühlen.

Auf der kulturellen Ebene werden in der narzisstischen Gesellschaft Werte des Eigennutz propagiert unter Vernachlässigung von Werten des Gemeinnutzes. Die in dieser narzisstischen Kultur lebenden Menschen brauchen eine willentliche Entscheidung oder alternative Vorbilder, um nach Werten zu handeln, die nicht im gesellschaftlichen Mainstream liegen. Sie müssen dann oft auf Privilegien verzichten.

Auf der spirituellen Ebene ist ein Narziss ein Mensch, der den Kontakt zum Sein verloren hat. Dieser Mensch ist in seiner narzisstischen Persönlichkeitsstruktur wie in einem Gefängnis eingesperrt. Das Gefängnis wird jedoch oft erst dann offensichtlich, wenn die Sehnsucht nach dem Sinn des Lebens, nach dem eigentlichen und nach dem Glück nicht verstummen will.

Umgangssprachlich haften dem Wort Narzissmus nur negative Bedeutungen an. Alice Miller sieht den Begriff hingegen als Eigenschaft, wie sie es unter anderem in Das Drama des Begabten Kindes erläutert. Narzisstisch zu sein ist für sie etwas normales, gesundes und meint jemanden, der seine Interessen verfolgen kann. Eine narzisstische Störung entsteht laut Miller, wenn ein Kind seine eigenen Gefühle und Interessen nicht artikulieren durfte und später dafür ein Ventil braucht. Das äussert sich meistens in Depression und/oder Gefühlen der Grossartigkeit, die aber nur zwei Seiten der selben Medaille darstellen.

Es ist dabei nicht immer einfach, produktive Formen des Narzissmus, die von Initiative und visionärem Tun geprägt sein können, von destruktiven zu unterscheiden, beispielsweise im Bereich der Politik oder Wirtschaft.

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